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DER MÄANDER I

 






We tell ourselves stories in order to live.

       Joan Didion


Ich hoffe, die Worte haben ein wenig Kredit angesichts der Überzahl der Blätter beim letzten Mal. Auch wenn es hier weniger um Bilder geht, sind sie dennoch sehr präsent in den Worten.

Ein weiteres Charakteristikum dieser Mäander in vier Posts: es geht um Bücher von Autorinnen und dabei hauptsächlich um Essayistinnen.


Tatsächlich habe ich im letzten Jahr einige Bücher von Männern beiseite gelegt. Nicht etwa, weil sie mir nicht gefallen hätten oder weil ich gedenke, die Lektüre ganz abzubrechen, sondern weil ihre Schwere mich angestrengt hat und ich eine Pause brauchte. Eine bewußte Entscheidung, von da an erstmal ausschließich Bücher von Frauen zu lesen, war das aber nicht. Jetzt zurückblickend, fällt mir allerdings auf, dass die Bücher dieser Frauen, so unterschiedlich sie sein mögen, nicht etwa leichter verdaulich, sondern einfach nur lichter sind. 

 




Letztendlich geht es also um den Unterschied zwischen Licht und Dunkel. Und auch wenn sich keineswegs behaupten lässt, dass zum Beispiel A Little Life von Hanya Yanagahara in irgendeiner Form licht oder gar lustig wäre, entfaltet dieses Epos, diese gewaltige und überwältigende Leidensgeschichte, dennoch eine kathartische Wirkung, es zapft die empathische Ader in uns allen an, legt sie bloß.

Kommen wir zur dritten Besonderheit: es wird ganz schön viel nachgedacht in besagten Büchern - obwohl nachgedacht nicht das richtige Wort ist, besser wäre vielleicht: intensiv und doch leichtfüssig gedacht -. Und dies geschieht so wunderbar natürlich, daß frau/man sich gar nicht anzustrengen braucht oder daß die Anstrengung sich zumindest leicht anfühlt. Also nicht erschrecken!: Literatur, die die vermeintliche Zeit und/oder ihren »Geist« beobachtet, aber auch sich selbst und die, darüber befragt, sicher nichts dagegen hätte, die Dichte, Raffinesse und Spannung eines Plots den Drehbuchautoren der Serien zu überlassen, kann dennoch fesseln.


 



Da ist zuerst von Siri Hustvedt Der Sommer ohne Männer. Das ist sehr reflektiert, aber es ist keine Intellektualität, die insistiert, die sich verdichtet und Theorem werden möchte. Frau Hustvedt lässt schnell wieder los. Aber eine Geschichtenerzählerin ist sie eigentlich auch nicht, und sie verbirgt das nicht, denn sie redet mit dem Leser, während sie dennoch Geschichten zu erzählen versucht, d.h. sie durchbricht immer wieder ihre eigenen Fiktionen, wirft den Leser heraus aus der Welt der Illusionen. Sie warnt zum Beispiel davor, dass jetzt mehrere Dinge gleichzeitig geschehen würden "und wir alle wissen, dass Simultaneität für Worte ein GROSSES Problem ist«. 

Wie geht das zusammen: commedia dell arte und hochfliegende Reflexionen? Bei beidem hilft ihr sicherlich ihre herrlich erfrischende Selbstironie. Ganz sicher ist die ein Brückenglied, das die autobiographisch wirkenden Schnipsel bindet und bündelt. Und so entsteht schließlich noch eine veritable Dramaturgie mit einer hübschen Kurve am Schluß. So daß man sich auch mit der Genrebezeichnung Roman anfreunden kann.

Das ist ganz groß, ein/e kleine/r Musil/e, die/der den schweren Mann ohne Eigenschaften in eine Frau ohne Schwerkraft, aber mit Eigenschaften, verwandelt.


 


Und gleich danach habe ich dann das Buch gelesen, das sie berühmt gemacht hat, vor über 20 Jahren: What I Loved, und das ist so anders als Ein Sommer ohne Männer. Es hat nicht diese Leichtigkeit einer Aphorismus-, Aperçu-, Bonmot- oder Sentenzen-Sammlung, die sich nur zeitweilig zu einem kleinen Essay verdichtet, dafür ist es von der Form her schon eher ein Roman. Erzählt wird die Geschichte mehrerer Zweierbeziehungen.

Es ist ein Buch, das sich rund um den künstlerischen Werdegang der Hauptfigur entfaltet, in Ichform beschrieben von seinem besten Freund, der passenderweise Kunst-historiker ist.

Hauptsächlich zwei Themen werden erörtert: da ist zum einen das Werk dieses besten Freundes, zum anderen dreht sich die zweite Hälfte um die Geschichte seines Sohnes, der hauptsächlich aus Lügen, und man könnte sagen, aus ständig wechselnden Selbstinszenierungen zu bestehen scheint.

Der Roman besitzt eine unglaubliche Intensität: hier lässt die Autorin nicht locker - wie 20 Jahre später - und nie los, sie verfolgt ihren Weg unerbittlich. Es gibt kaum Szenen, die einen, und wenn auch nur kurz, entspannen lassen, d.h. vom Hauptfokus ablassen. Und dennoch wußte ich bis kurz vor dem Ende nicht, warum sie diese Geschichte erzählt. Eigentlich weiß ich es immer noch nicht. Aber irgendwie stört das nicht. Es ist soviel darin, daß ich gar keine Message brauche. Das, was im Sommer ohne Männer immer wieder dazu führt, abzubrechen und was in What I Loved, wo Siri Hustvedt immer am Ball bleibt, dazu führt, daß der Roman in seiner Gänze keine These formuliert, ähnelt sich.



 

Kommentare sind wie immer willkommen.

now@stefan-hardt.com




























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