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DER MÄANDER IV

 


Those writers who believe that the way they write is more important than whatever they may write about - those are the only writers I want to read anymore, the only ones who can lift me up. 

                                                        Sigrid Nunez                                                 


Im Folgenden noch ein wahrer und vorerst letzter Mäander, ein Mäander auch im Hinblick auf den Stellenwert der Sprache im Zusammenwirken mit der jeweiligen Geschichte, darauf, wie gelungen diese Sprache die Handlung transportiert. 

Es sind ein paar Tipps, explizite Belletristik betreffend - und ich will angesichts des Zitats von Frau Nunez nicht behaupten, daß die Plots dieser Romane nicht auch interessant wären -:  




Der Einzeller von Masuda Mizuko, die in Tokio Pflanzen-immunologie studierte, stammt aus dem Jahr 1982 und ist ihr erster Roman. Und sehr, sehr eigenwillig. 

Die Handlung ist denkbar einfach: Ein ehrgeiziger Student der Agrarwissenschaften mietet sich, um seine Examensarbeit zu schreiben, auf dem Land in einem direkt am Wald gelegenen Gasthof ein und trifft dort gegen Ende seines Aufenthalts auf eine Gruppe junger Frauen. Einer von ihnen begegnet er erneut, als er während seiner Rückfahrt mit dem Zug umsteigen muß. Sie behauptet, kein Geld für die Fahrkarte zu haben. Und folgt ihm dann einfach in seine kleine, absichtlich ungemütlich eingerichtete Wohnung. Und bleibt da! 

Reden tun die beiden kaum miteinander. Alle, meist recht alltägliche Details ihres Zusammenlebens werden ganz ausführlich geschildert.




Und der »philosophische« Tenor?: Pflanzen sind die besseren Menschen. Auch die Sprache ist eigenwillig. Man könnte sie vielleicht als hypersachlich bezeichnen. Es fällt allerdings schwer, diese Einschätzung von der Merkwürdigkeit der Inhalte zu trennen. Wahrscheinlich ist es der Kontrast zwischen diesen abgelegenen Gedankengängen und dem Fehlen jedwedes Pathos in der Beschreibung. 

Zum Beispiel beobachtet der Protagonist in seinem Hotelzimmer den Kampf zwischen einem Nachtfalter und einer Ameise. Am nächsten Tag resümiert er, diesen Kampf erinnernd: »Sobald ich in der Nähe von Bäumen bin, fühle ich mich so wohl, daß ich keine Lust mehr habe, irgendetwas anderes zu tun. Obwohl ich weiß, daß sich unter meinem Gesäß dicke Baum-wurzeln wie wild um Nährstoffe streiten und sich unter der Rinde der Bäume unzählige Insekten eingenistet haben, finde ich Bäume schön - weshalb nur?«

Sicherlich hakt es an einigen Stellen bei der Übersetzung, aber man bekommt einen guten Einblick in die seltsame Gedankenwelt der Hauptfigur. Er ist ein veritabler Einzeller. 

Und auch hier schreibt eine Frau über das Innenleben eines Mannes. 




Sue Monk Kidd: Die Bienenhüterin

Jedes Kapitel wird eingeläutet mit einem kleinen Abschnitt über das komplizierte, arbeitssame und wechselhafte Leben der Bienen, der Bienenarten. 

Es geht ums Erwachsenwerden, das Bienenzüchten und den Rassismus in den USA während der 60er Jahre, unangestrengt vermischt.

»Ein gleichklingendes Summen, hoch und volltönend, als wenn jemand einen Teekessel aufgesetzt hätte und zum Kochen bringen würde.

»´Sie kühlen die Stöcke´, sagte sie, und ihr Atem wehte den Geruch von Pfefferminz über mein Gesicht. ´Das ist der Klang von hunderttausend Bienenflügeln, die Luft fächeln.´ Sie schloss die Augen und gab sich dem Klang hin, so wie vornehme Leute bei einem Konzert klassische Musik in sich aufnehmen. Ich fragte mich, ob ich bisher hinterm Mond gelebt hatte, denn auf meinem Plattenspieler zu Hause hatte ich noch nie etwas gehört, das so gut klang. Es war unglaublich, wie perfekt sie den Ton hielten, wie harmonisch es war, und wie gleichmäßig die Lautstärke an- und abschwoll. Wir hielten unsere Ohren an eine riesige Musicbox.«





The Great Passage von Shion Miura: Hier tritt mal ein Charakter auf, der das gängige Muster umkehrt: anstatt zuvorkommend, hilfsbereit, mitfühlend und warmherzig zu erscheinen, dabei aber in Wahrheit kaltherzig, rachsüchtig, skrupellos und berechnend zu sein, ist Nishioka verständnisvoll und empathisch, während er nach außen hin den Zyniker, den Grobian und Distanzlosen gibt.

Der Roman handelt tatsächlich im Kern ausschließlich von der Entstehung eines großen Lexikons, eines Wörterbuchs mit über 450.000 Einträgen. In dem Moment, in dem das Lexikon veröffentlicht wird, ist der Roman zu Ende. Man erfährt so einiges über die Schwierigkeiten dieser Arbeit, die sich in diesem Fall über 15 Jahre hinzieht. Und das Erstaunliche ist, dass dieser Roman überhaupt nicht langweilig ist. 

Man erfährt ebenfalls so einiges über die Arbeitsmoral der Japaner. Und der Text kommt so gut wie ohne Rückblenden aus, was ich zunehmend als angenehm empfinde. 

Sehr gut gefallen hat mir auch, wie sich die Ansichten einiger Figuren im Laufe dieser Arbeit verändern. Sie fächern sich quasi auf. So wird deutlich, wie stark Ansichten Veränderungen unterworfen sind, abhängig von den Erfahrungen.

Und erneut schreibt eine Frau, zumindest partiell, über einen Mann (s.o.).




Butter von Asako Yuzuki. Seltsam und faszinierend. An keiner Stelle stellte sich eine Ahnung ein, wie es weitergehen würde. Das Erzähltempo ist ganz gemächlich, und wirklich aufgeklärt wird die Krimi-Ausgangssituation auch nicht. Schwer nur ließe sich in einem Satz beantworten, worum es eigentlich geht. Natürlich zum einen, wie schon der Titel suggeriert, ums Essen - wobei Butter natürlich nicht gerade ein typisch japanisches Lebensmittel ist -, dies allerdings oft im Hinblick auf das Verhältnis zum eigenen Körper. Außerdem handelt der Roman von der Ethik des Journalismus. Schließlich thematisiert er intensiv Mo-delle von Freundschaften und solche des Zusammen-lebens überhaupt. 

Aber am eindrücklichsten sind doch diese seltsamen und sehr komplexen Charaktere selbst und wie sie miteinander in Beziehung treten.





Die Unschärfe der Welt von Iris Wolff. Die Sprache ist sehr präzise, und anfänglich hatte ich ein wenig Mühe, dem Geschehen zu folgen. Vielleicht spielt darauf, auf diese Schwierigkeit, der Titel an. Aber als ich dann mal mit den Figuren vertraut war, wurde immer deutlicher, daß sich die genaue Lektüre lohnt.

Der Roman ist wie eine Blume: wie sie sich öffnet, wird nicht ausgelöst durch die Geschichte, sondern durch die Sprache. So entsteht ein Bild, ein blühendes Bild, wirklich bewegen tut sich aber nichts. Die Geschichte habe ich schon wieder vergessen. Es ist eher ein Portrait von einigen Menschen, beobachtet über einen längeren Zeitraum.




Zwei alte Frauen von Velma Wallis. Das ist sehr eindrücklich. Hier wiederum lebt das Ganze von der Geschichte, und die wirkt so schlicht, authentisch-existentiell und eben eindrücklich, daß das Diktum von Frau Nunez an ihr abprallt und in dem Moment dann doch ein wenig zu apodiktisch erscheint. Denn die Sprache ist nebensächlich. Aber in ihrer Schlichtheit dem Transport der Geschichte durchaus dienlich. 

Es geht um zwei alte Frauen im äußersten Norden Kanadas, die von ihrem »Volk«, wahrscheinlich eher Stamm, in einem besonders bitterkalten Winter einfach zurückgelassen werden und dennoch über-leben. 

Ein kleines, starkes Bändchen.





Der extrem handlungsarme Roman Nevermore von Cécile Wajsbrot ist selbst ein Mäander. Er mäandert von Dresden, der temporären Basis der Icherzählerin, einer französischen Übersetzerin, über New York, Skye, Foula bis hin nach Tschernobyl.

Zentrales Thema sind die Schwierigkeiten dieser Übersetzungsarbeit, vorgeführt am Beispiel des Romans To The Lighthouse von Virginia Woolf. Jeder Bezug, der eine gewisse Konsistenz verspricht, ist recht. Diese Bezüge werden den ganzen Roman hindurch in kleinen Häppchen immer wieder auf-gegriffen und weiter verfolgt, bis sie ganz einfach zu verstehen sind. Die High Lane von New York steht für den Versuch, etwas, das verlassen wurde, in anderer Form neu zu beleben, die Insel Foula, Drehort eines Films von Michael Powell, für das Verschwinden der Menschen, ihre Entsiedelung, auf Skye steht der Leuchtturm, d. h. spielt der Roman von Frau Woolf, und die verbotene Zone um Tschernobyl herum liefert ein Bild für die Rückeroberung der Natur - aktiv wie passiv, d. h. sie überwuchert die menschlichen Spuren und der Mensch nähert sich ihr erneut an.

Dieses Stück Literatur ist ein wahrer Hybrid, und somit schließt sich ein Kreis : wie im Sommer ohne Männer ist die Autorin allzeit sehr präsent, aber ihre Gedanken sind unpersönlich und doch intim - denn ob etwas stimmt oder nicht, entscheidet im Hinblick auf den Klang der Übersetzung der Rhythmus -, klar und dennoch voller Verästelungen, ebenfalls so wie bei Siri Hustvedt

Und es ist eine Freude, parallel dazu das Original, To The Lighthouse, zu lesen, also die eigentliche Haupt-person noch besser kennenzulernen.





Kommentare sind wie immer willkommen.

now@stefan-hardt.de















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